ALTE MEISTER
Suhrkamp Verlag, 158 Seiten, ISBN 978-3-518-46293-5
Waren Asterix und Obelix und später Hergés Tim und Struppi die Comic-Helden meiner Kindheit und Jugend (und grad Hergés Zeichnungen liebe und bewundere ich heute noch mehr), so wurde ich von Jaques Tardi in die Welt der Graphic Novel eingeführt. Sein Nester Burma ist der fleischgewordene Held aus den Geheimnissen von Paris von Leo Malet (und nicht der Burma dieser unsäglichen Fernsehreihe, die mit der Atmosphäre der Malet Krimis nichts gemein hat). Seit ich Tardi kenne interessieren mich Graphic Novels.
Nicolas Mahler hingegen kannte ich bisher nicht. Er lebt und arbeitet in Wien, ist Jahrgang 1969, und hat zahlreiche Preise gewonnen. Kürzlich wurde er als bester deutschsprachiger Comic-Künstler ausgezeichnet.
Thomas Bernhard (1931-1989) ist einer meiner Lieblingsschriftsteller. Er war ein Meister der Übertreibung, der musikalischen Sprache, der Wiederholungen und der maßlosen Beschimpfungen des Kulturbetriebs. Die Handlungen seiner Romane sind oft minimalistisch und von endlosen Monologen geprägt. Man muß das mögen … ich liebe die Romane und Stücke von Thomas Bernhard.
Alte Meister von 1985 ist ein typischer Bernhard: Der Kunstkritiker Reger setzt sich jeden zweiten Tag auf eine bestimmte Bank des Kunsthistorischen Museums in Wien, betrachtet das immer gleiche Bild und denkt darüber nach, was es in der Welt und vor allem in Österreich für Scheußlichkeiten gibt. Er ist ein durch und durch negativer Mensch (aber man amüsiert sich über Regers Tiraden gegen den Kunstbetrieb, typisch Bernhard, und nickt beflissen). Sein Freund Atzbacher besucht ihn eines Tages im Museum, wobei er Reger vorher heimlich beobachtet und über seinen Freund nachdenkt. Der Roman endet mit einem gemeinsamen Besuch des Zerbrochenen Krugs im Burgtheater. Natürlich ist es eine entsetzliche Vorstellung.
Und wie schafft es nun Mahler diesen Stoff umzusetzen? Auf Seite 43 der Graphic Novel Alte Meister zitiert Mahler Thomas Bernhards Reger mit den folgenden Worten: „Selbst eine philosophische Abhandlung verstehen wir besser, wenn wir sie nicht zur Gänze auffressen in einem Zug, sondern uns nur ein Detail herauspicken, von welchem wir dann auf das Ganze kommen, wenn wir Glück haben..“ Und genau so verfährt er bei der Umsetzung: Mit extrem reduziertem Strich läßt er Reger, Atzbacher und den Museumswärter Irrsigler im Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums lebendig werden. Er zeigt wie Atzbacher Reger beobachtet und dessen Gewohnheiten beschreibt. Nicolas Mahler fängt auf rührende Weise den Grund für Regers regelmäßige Museumsbesuche ein, und er endet mit dem gemeinsamen Burgtheaterbesuchs.
Ich kann es nicht anders sagen: die Adaption ist Mahler auf geniale Weise gelungen. Man muß Thomas Bernhard nicht kennen, dessen Welt kennt man nach den 158 Seiten auf jeden Fall. Der Stoff und dessen Bearbeitung befruchten sich hier auf die allerschönste Weise. Es ist großartig, was Mahler hier gelingt. Chapeau!
(nur eine Frage treibt mich noch um: wie hätte das Thomas Bernhard gefallen?)
Liebe Lena, bei Thomas Bernhard bin ich immer hin- und hergerissen. Stellenweise finde ich ihn großartig, stellenweise möchte ich sein Buch einfach nur zuklappen. Manchmal wünsche ich mir, ihn persönlich gekannt zu haben, manchmal jedoch auf gar keinen Fall.
Hm…..vielleicht sollte ich deinen Tipp mal befolgen?
LG von Rosie
Liebe Rosie,
inzwischen meine ich Deine Preferenzen ein wenig zu kennen, deshalb meine Tips für die Bernhard Lektüre: Wittgensteins Neffe und die kleinen Romane zu seiner Kindheit und Jugendzeit (Die Ursache, Der Keller, Der Atem, Die Kälte, Ein Kind). Das sind vielleicht die schönsten Sachen, die er geschrieben hat. Schön im Sinne von warm, auf eine Art versöhnlich und menschenfreundlich. Die Adaption von Nicolas Mahler gehört meiner Meinung nach unbedingt in diese Reihe.
Ganz liebe Grüße,
Deine Lena