Joseph Roth: Das Spinnennetz

In ›Romane & Erzählungen 1916–1929‹ (S. 63 – 146), Kiepenheuer & Witsch 1989, ISBN: 3-462-01960-0, nicht mehr im Handel. Es gibt zahlreiche andere Ausgaben.

›Das Spinnennetz‹ erschien 1923 als Fortsetzung in der Wiener Arbeiter-Zeitung und war danach über Jahrzehnte vergessen. Erst 1967 erschien der Roman in Buchform. Dieses grad etwas über 80 Seiten starke Werk steht mit ›Hotel Savoy‹ (1924), ›Die Flucht ohne Ende‹ (1927) und ›Rechts und Links‹ (1929) für die erste Schaffenszeit der Rothschen Zeitromane. Dass Joseph Roth eher als Journalist denn als Romancier wahrgenommen wurde, bleibt bei der Lektüre von ›Das Spinnennetz‹ zu bedenken. Von der Meisterschaft eines ›Radetzkymarsch‹ ist der Autor hier zugegeben noch ein gutes Stück entfernt, aber dieser wilde Erstling hat durchaus seinen Reiz.

Was wird hier also erzählt? Es geht um den Aufstieg des Leutnants Theodor Lohse in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Zu Beginn des Romans wird der Kriegsverlierer von Mutter und Schwestern als Enttäuschung angesehen: Nicht mal als Kriegsheld gefallen ist er. Lohse versucht, im zivilen Leben Fuß zu fassen und seiner kleinbürgerlichen Welt zu entkommen, was ihm nach anfänglichen Schwierigkeiten immer besser zu gelingen scheint. Wir bewegen uns in der Erzählung im Umkreis der Spartakuskämpfe, von rechtsnationalen Geheimbünden, von Reichswehr, Ludendorff und Hitler. Lohse hasst Juden und er hasst Sozialisten. Skrupellos und opportunistisch bis in die Haarspitzen erkämpft er sich seinen Weg nach oben – warum nicht auch nach ganz oben? Er arbeitet als Spitzel, verschafft sich Macht und schreckt vor keinem Verrat, vor keinem Mord zurück. Theoder Lohse ist eine widerwärtige Type. Gegen Ende des Buches ist er mit dem Fräulein von Schlieffen verheiratet, die zu ihm aufblickt. Aber auch sie benutzt ihn, wie hier jeder jeden benutzt. Auch Lohse geschieht dies: Der Ostjude Benjamin Lenz verachtet den Verfall in Europa und will den Untergang dieser Welt beschleunigen. Er wird von Lohse beim Fotografieren von Geheimakten erwischt. Dieser kann ihn aber nicht töten, da dieser zu viel von Lohses Machenschaften weiß. Hier endet der Roman, der erkennbar fortgesetzt werden sollte. In der vielbeachteten Verfilmung von Bernhard Wicki 1989 wird Lenz schließlich von Helfern Lohses getötet, im Roman bleibt das Ende offen. Zwei Tage nach Abdruck des letzten Teils von ›Das Spinnennetz‹ in der Wiener Arbeiter-Zeitung gab es in der realen Welt den Versuch, die Reichsregierung in Berlin zu stürzen: Der Hitlerputsch beherrschte die Schlagzeilen.

Was man auch immer über den Stil dieses Romans sagen möchte, in seiner Qualität als Zeitroman ist er unschlagbar. Er zeigt uns, was Faschismus in den Köpfen der Menschen anrichtet und aus welchem Umfeld er entspringt. Der Roman gibt zwar keine Antworten, aber zeichnet ein Bild, das viel schärfer und vorausschauender hätte nicht sein können. Allerdings darf man nicht verschweigen, dass es aus künstlerischer Sicht viele Handlungssprünge zu bemängeln gibt und doch recht grob gezeichnete Charaktere den Roman bevölkern. ›Das Spinnennetz‹ ist gewiss kein Meisterwerk. Helmuth Nürnberger bemerkt in seiner rororo Bildmonographie von 1981, dass sich Joseph Roth später zu diesem ersten Roman nicht mehr bekennen wollte. Zu schnell wohl die Feder und zu sehr ein typischer Zeitungsroman.

Wenn ich diesen Roman doch empfehlen möchte, so ist grad wegen seines rasanten Tempos, diese kurzen Sätze, die fast wie aneinandergereihte Artikelüberschriften wirken, die Beschreibung des Milieus und die fast schon erschreckende Klarsicht der politischen Situation nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland. Mich konnte dieser schmale Roman durchaus in seinen Bann ziehen. Keine ›Neue Sachlichkeit‹ (Roth lässt durchblicken, wem seine Sympathie gehört), doch jede Menge Zeitroman mit einer Brise Expressionismus und auf eine Art gehetzt aufs Papier gebracht. Vielleicht sollte man dieses Buch gelesen haben, wenn man sich ein wenig näher mit Joseph Roth beschäftigen möchte? 

2 Kommentare on "Joseph Roth: Das Spinnennetz"


  1. Kenn ich als 90er Jahre Verfilmung mit dem Brandauer, dem Mühe und dem Müller-Stahl. War ein klasse Film, der nie wiederholt wurde. Bernhard Wicki Regie.

    Hatte also ein ähnliches Schicksal wie „das Schlangenei“ vom Ingmar Bergmann.

    Beiden Filmen ist gemein, dass sie eindeutig nachvollziehen lassen, wie verkorxt die Weimarer Republik war. Da man die jedoch seit einiger Zeit in so einem stark verfälschten „Goldene Zwanziger“ Licht zu zeigen bemüht ist: — tja —

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