Hanser 2021, 256 S., ISBN 978-3-446-26940-8, übersetzt von Anke Caroline Burger, auch als E-Book erhältlich.
So ist das eben manchmal, wenn man in seiner Bücherblase unterwegs ist: Du triffst auf eine vielversprechende Autorin, deren Name für Dich gänzlich neu ist, während sie in den Feuilletons seit Jahren auf und ab besprochen wird. Nun gut. Ottessa Moshfegh wurde 1981 in Boston geboren und veröffentlichte ihren ersten Roman 2014. Ihre Romane und Erzählungen handeln von Frauen, die sich in psychischen Ausnahmesituationen befinden und deren innere Reisen in besonderen Lebenssituationen erzählt werden. Die Arbeit von Frau Moshfegh wurde mehrfach mit bedeutenden Literaturpreisen bedacht. ›Der Tod in ihren Händen‹ erschien im Original 2020 (Death in Her Hands) und ein Jahr später auf Deutsch beim Hanser Verlag, die Übersetzerin heißt Anke Caroline Burger.
Wie geht es also los? Vesta Guhl (wie das Shampoo) ist die 72 jährige Witwe eines deutschstämmigen Philosophieprofessors und ist nach dem Tod ihres Mannes aus dem Mittleren Westen an die Ostküste der USA in ein entlegenes, ziemlich trostloses Kaff gezogen. Hier Haus steht abseits, die entfernten Nachbarn schneiden sie und ihr einziger Wegbegleiter und Schutz ist der Hund Charlie. Ein wenig Schutz kann man in der Gegend durchaus gebrauchen und so kann sie mit Charlie Spaziergänge durch den nahegelegenen Wald unternehmen. Dort, unter einem Stein findet Vesta eines Tages einen Zettel mit folgendem Inhalt: »Ihr Name war Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie getötet hat. Hier ist ihre Leiche.« Aber es gibt keine Leiche. Und so geht die Reise los und wir Leser brauchen ein wenig Zeit, um zu begreifen, dass dies gewiss kein Kriminalroman ist.
Vesta Guhl ist die konsequent durchgehaltene Icherzählerin in »Der Tod in ihren Händen«. Wir begleiten sie auf ihrer Suche nach Magda, ihrem Mörder und der ganzen Geschichte hinter diesem Mysterium. Und wir geraten sehr schnell in ihre eigene Geschichte voll von Einsamkeit, Demütigungen und Hass. Im dritten von sieben Kapiteln fängt sie an, für Magda einen Fragebogen zu erstellen. Sie konstruiert in ihren Gedanken den Fall, der sie beschäftigt. Was wir lesen geht weit über das Nachdenken über erfahrene Verletzungen hinaus, es wird seltsam, gemein und aggressiv. Was ist hier Realität, was Erfundenes in den Gedankenräumen der Icherzählerin? Ein Spiel mit Fiktionen und ein ziemlich gruseliges dazu.
Ich will nicht verschweigen, dass mich dieser Roman fasziniert hat, doch sind mir einige Kniffe der Autorin nicht ganz begreiflich geworden: Was hat es mit Blake auf sich? Vesta gibt dem (fiktiven?) Schreiber des gefundenen Briefes diesen Namen, später wird sie in einer Bibliothek auf ein Buch und ein Zitat des Dichters William Blake stoßen: »Wie viele kamen dort zu Fall!/ Sie stolpern in Nacht über Totengebein/ Und wissen nicht, was außer Not sie verspüren,/ Und dennoch möchten sie andere führen,/ Die selber als Erste geführt sollten sein.« [aus: William Blake, Des alten Barden Stimme, dtv 1996]. Was hat es mit Ghul und Ghod auf sich, böse Figuren, die Vesta Guhl erfindet. Sie selbst schreibt sich gegen Ende des Buches Ghul statt Guhl. Es sind vielleicht ein paar Motive zu viel, die ins Leere laufen … oder vielleicht in die Irre führen sollen? Es gibt viele Stellen im Roman, die auf diese Weise verwirren. Allerdings: Vom Dichter Blake zum Erkenntnistheoretiker Walter (ihr verstorbener Mann) ist es nicht zu weit. Vielleicht ist der Roman doch noch aufmerksamer zu lesen?
Es bleiben also einige Fragen offen, aber auf die Frage, ob sich die Lektüre dieses Romans lohne, würde ich mit einem eindeutigen Ja antworten: Zu originell ist das Setting, zu mitreißend die Lektüre. Leser und Leserinnen, die E-Books nicht verabscheuen, dürfen sich freuen, dass dieser Roman zurzeit sehr preisgünstig angeboten wird. Ideal, um die Welten der Ottessa Moshfeghs kennenzulernen.