Robert Walser: Der Gehülfe

Suhrkamp 2019, Berner Ausgabe – Band 6, Broschur, 292 S., ISBN: 978-3-518-42901-3.

Für vier Monate arbeitete Robert Walser als Angestellter des Technikers Carl Dublers. Er verlässt die Anstellung Neujahr 1904, unmittelbar vor dem Konkurs Dublers. Walser wird die Vornamen der Kinder der Familie Dubler in seinem Roman ›Der Gehülfe‹ von 1907 (Erscheinungsjahr 1908) übernehmen, genau wie die obskuren Erfindungen. Der Roman handelt von eben einer solchen Anstellung: Joseph Marti, 24 Jahre, wird Gehülfe des Ingenieurs Carl Tober. Ein halbes Jahr später, als der erfolglose Erfinder bankrott ist, wird Joseph die Villa Abendstern bei Bärenswil am Zürichsee verlassen. Das ist in wenigen Worten die Handlung dieses Romans. Der Roman ist bis heute der meistgelesene von Robert Walser.

Wir erleben auf den 238 Seiten, die den Text ausmachen, den Niedergang der Familie Tobler. Eine Reklameuhr, ein Schützenautomat oder einen Krankenstuhl braucht die Welt nicht. Sehr schnell wird das klar. Auch Joseph ahnt das, aber er spielt mit, denn es geht ihm nicht schlecht auf Villa Abendstern, bei dem großspurigen, feldfremden Tobler, obwohl er ein Gehalt nicht zu sehen bekommt. Heimlich betet Marti die Frau seines Chefs an.

Nein, die Hauptsache war die: sein Leben, sein ganzes Leben, das bisher geführte und das vorauszuahnende zukünftige, das, das war kurios, und Frau Tobler hatte ganz recht, wenn sie bemerkte – – Diese Frauen, wie sie es verstunden, in den Herzen und Charakteren zu lesen. Wie talentiert sie waren, einem mit so einem einzigen Wort das Richtige und Treffende in die erstaunte Seele hinein zu sagen. Ein kurioser Kerl. Spaßhaft war das, nicht wahr? –
Trauernd um Vieles, Vieles ging er nach Hause.

Robert Walser, Der Gehülfe, Berlin, Suhrkamp 2019, S. 129, Z. 20-28

Doch Frau Tobler hat auch eine andere Seite: Sie lässt es zu, dass ihre zurückgebliebene Tochter Silvi von ihrer Magd Pauline gequält wird. Joseph erkennt das, ist abgestoßen davon, aber geht darüber hinweg. Ihm geht es zu gut. Später wird er doch versuchen, sich einzumischen, aber entschieden abgewiesen. Silvi wird irgendwann aus dem Roman leise entschwinden (nicht aber aus meinem Kopf).

Es gibt noch einige andere Protagonisten, die hier Erwähnungen finden sollen: Da ist zum einen Klara, eine Freundin, die Joseph schon viele Jahre kennt und die er an einem freien Sonntag besucht. Oder Wirsich, der Vorgänger von Joseph bei den Toblers. Eigentlich der bessere Gehülfe, doch Wirsichs Alkoholsucht hat alles zunichtegemacht. Eine Vielzahl von kleineren Begebenheiten durchziehen den Roman, über allem das Warten auf den großen Knall, der allerdings ausbleibt. Der Roman endet, unspektakulär mit Martis Weggang.

Was aber macht den Reiz dieses Angestelltenromans aus? Zweifellos ist das die Sprache. Selbst mir als Dilettantin fällt auf, wie die Erzählung reizvoll zwischen Martis Selbstreflexionen und Zweifeln und einer distanzierten, immer auch ironischen Erzählhaltung schwingt. Es gibt wundervolle Landschaftsbeschreibungen und dann wieder der unbestechliche Blick auf das Detail. Das Kleine ist es, was Walser interessiert. ›Der Gehülfe‹ braucht keine Aktion, um zu fesseln. Und natürlich der Gegensatz zwischen Tobler, der sich fest in der Welt wähnt und untergeht, und Marti, der unsicher, wissend um die Fragilität der Welt am Ende weiterzieht.

Ich habe mir die teure Berner Ausgabe mit Zeilennummerierung, Kommentar, Nachwort und Abbildungen gewünscht und geschenkt bekommen. Allerdings ist eine normale Taschenbuchausgabe für die Lektüre vollkommen ausreichend. Wichtig wäre nur, dass Walser weiterhin viel gelesen wird. Er ist ein Zauberer.

2 Kommentare on "Robert Walser: Der Gehülfe"


  1. Danke für die Erinnerung an Robert Walser. W.G. Sebald hat in dem kleinen Band „Logis in einem Landhaus“ einen wundervollen Essay über Robert Wlaser geschrieben.
    Schöne Grüsse,
    Robert

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