Lit: Belletristik

Oktopus/Kampa Verlag 2022, 255 S., grundlegende Überarbeitung der Übersetzung von Maria Wolff, ISBN: 978-3-311-30035-9, auch als E-Book erhältlich.

›The Daughter of Time‹ hieß die Originalausgabe von 1951, ›Richard der Verleumdete‹ die erste deutsche Übersetzung von Maria Wolff aus dem Jahre 1959, in der Neuausgabe des Kampa Verlags in seinem Oktopus Programm heißt der Titel jetzt ›Alibi für einen König‹. Josephine Tey hieß eigentlich Elizabeth Mackintosch. Sie wurde 1896 in Schottland geboren und starb 1952, ein Jahr nach Veröffentlichung des hier vorgestellten Romans, in London. Gordon Daviot war ein weiteres Pseudonym, das die Autorin dann nutzte, wenn sie Theaterstücke schrieb. Tey gehörte zur Generation der Agatha Christies oder Dorothy L. Sayers unterschied sich von diesen aber dadurch, dass sie mit den gängigen Stilmitteln brach. Und das macht sie eben interessant.

In ›Romane & Erzählungen 1916–1929‹ (S. 63 – 146), Kiepenheuer & Witsch 1989, ISBN: 3-462-01960-0, nicht mehr im Handel. Es gibt zahlreiche andere Ausgaben.

›Das Spinnennetz‹ erschien 1923 als Fortsetzung in der Wiener Arbeiter-Zeitung und war danach über Jahrzehnte vergessen. Erst 1967 erschien der Roman in Buchform. Dieses grad etwas über 80 Seiten starke Werk steht mit ›Hotel Savoy‹ (1924), ›Die Flucht ohne Ende‹ (1927) und ›Rechts und Links‹ (1929) für die erste Schaffenszeit der Rothschen Zeitromane. Dass Joseph Roth eher als Journalist denn als Romancier wahrgenommen wurde, bleibt bei der Lektüre von ›Das Spinnennetz‹ zu bedenken. Von der Meisterschaft eines ›Radetzkymarsch‹ ist der Autor hier zugegeben noch ein gutes Stück entfernt, aber dieser wilde Erstling hat durchaus seinen Reiz.

Suhrkamp 2006, 216 S. Mit einem Nachwort von Dietmar Dath, ISBN: 3-518-22410-7. 

Dieser Roman von 1957 ist der letzte aus Arno Schmidts Frühwerk, in der Chronologie der Romane zwischen ›Das steinerne Herz› von 1956 und ›Kaff auch Mare Crisium‹ von 1960 platziert. Wir schreiben in ›Die Gelehrtenrepublik‹ das Jahr 2008, Europa ist durch einen Atomkrieg verwüstet, Deutschland ist nicht mehr existent. Der Reporter und Erzähler Charles Henry Winer besucht mit Genehmigung der Großmächte zwei außerordentlich interessante Orte: Den »Hominidenstreifen«, einen Landstrich in der westlichen USA, der von durch Strahlenfolgen willkürlich entstandenen Mutationen bevölkert wird, und danach die Gelehrtenrepublik, eine in den Roßbreiten des Atlantiks schwimmende künstliche Insel. Hier wohnen ausgewählte Künstler und Wissenschaftler aus beiden Blöcken (Ost und West). Offiziell wird die Insel »International Republic for Artists and Scientists«, kurz »IRAS«, genannt. Wir folgen in diesem 200-seitigen Roman dem Bericht des Ich-Erzählers. Doch Arno Schmidt wäre nicht Arno Schmidt, wenn es hierbei nicht einige Kniffe gäbe.

Manesse 2014, 665 S., ISBN: 978-3-7175-2218-8, mit einem Nachwort von Eva Demski. Es gibt auch viele andere, preisgünstigere Ausgaben.

›Radetzkymarsch‹, der große Roman über den schleichenden Untergang der Habsburger Monarchie, den Zerfall von k. u. k. Österreich-Ungarn. In Kaffees und Hotelzimmern hat sich Joseph Roth dieses Werk abgerungen, das erst in der Frankfurter Zeitung als Fortsetzungsroman und 1932 als Buch erschien. Österreich, Galizien, Exil, Judentum, Alkohol, Sehnsucht, Traurigkeit: Das sind ein paar Schlagworte, die einem im Zusammenhang mit Joseph Roth einfallen (wenn denn heutigen Lesern zum Namen etwas einfällt). Der zuletzt schwer alkoholkranke Autor verstarb 1939 im Exil in Paris und wurde nicht einmal 44 Jahre alt. Er hinterließ uns bemerkenswerte Romane und Erzählungen und war zeitlebens auch journalistisch tätig. ›Radetzkymarsch‹ gehört gewiss zu seinen besten Werken.

Text (1104 S.) und Kommentar (528 S.), S. Fischer 2002, ISBN: 978-3-10-048324-9 

Den Zauberberg. Nun habe ich ihn also gelesen, durchgelesen, endlich. Im wievielten Anlauf, weiß ich nicht mehr. Woran bin ich bloß so oft gescheitert? Gewiss an meiner Unerfahrenheit und falschen Erwartungen, an den anstrengenden Dialogen zwischen Settembrini und Naphta, an dem Erzähler, der in mir in Thomas Manns Romanen immer wieder ein gewisses Unbehagen auslöst. Nun also hat es geklappt und es war ein großes Vergnügen. Zwar bleibt, was die Romane Manns angeht, ›Der Erwählte‹ mein Favorit und jemanden, der Thomas Mann zum ersten Mal zu lesen beschließt, würde ich die frühen Erzählungen empfehlen, aber ›Der Zauberberg‹ ist schon die Lebenszeit wert, die man für die Lektüre veranschlagen muss. 

Hanser 2004, 872 Seiten, übersetzt von Elisabeth Edl, ISBN 9783446204850. Als TB ist diese Ausgabe 2006 bei dtv erschienen.

Stendhal hieß mit bürgerlichem Namen Marie Henri Beyle, wurde 1783 in Grenoble geboren und starb 1842 in Paris. Von 1800 bis 1814 stand er in Napoleons Diensten, danach lebte er in Mailand – er blieb zeitlebens ein großer Bewunderer Italiens – wurde 1821 von dort ausgewiesen, lebte in Paris und wurde 1831 zum Konsul in Civitavecchia ernannt. Bis zum Ende seines Lebens pendelte er zwischen Civitavecchia und dem naheliegenden Rom. Stendhal verfasste Essays, Reiseberichte, schrieb Tagebücher. Seine Romane erlangten erst spät den ihnen angemessen Platz im Kanon der französischen Literatur. Heute gehören ›Die Kartause von Parma‹ (1839) und ›Rot und Schwarz‹ (1830) unbestritten zum Kanon der Weltliteratur (wie man so sagt). ›Rot und Schwarz‹ habe ich nun mit einiger Begeisterung gelesen.

Jung und Jung 2021, 64 S., gebundene Ausgabe, ISBN: 978-3-99027-253-4

Ein kleines blaues Büchlein aus dem Hause eines renommierten Salzburger Verlags mit einer Erzählung von Wilhelm Raabe. Das hat man nun auch nicht alle Tage, und so soll kurz berichtet werden. Denn meine Freude war groß, dass endlich mal wieder ein Buch von Wilhelm Raabe neu aufgelegt wird, auch wenn es eine grad 44 Seiten kurze Erzählung ist. Veröffentlicht wurde sie 1873, geschrieben bereits im Frühjahr 1872. Der Erzähler dieser Geschichte, ein nicht genannter Jurist, der es versteht, seine fünf Sinne beisammen zu halten, trifft auf einen ehemaligen Kollegen, den Königlich Preußischen Kreisrichter zu Groß-Fauhlenberge Löhnefinke, der sich einigermaßen seltsam verhält. Also der Reihe nach:

Arno Schmidts Zettel’s Traum. Ein Lesebuch. Hg. v. Bernd Rauschenbach. Mit Texten von Susanne Fischer. Suhrkamp 2020, 254 S., ISBN: 978-3-518-80450-6.
Arno Schmidt Zettel’s Traum. Ein Hör-Lesebuch. Gelesen von Ulrich Matthes. Laufzeit: 363 Minuten. Aufbau Audio 2021. ISBN: 978-3-96105-214-1

1334 großformatige Seiten in der Typoskriptausgabe, 1536 Seiten in der von Friedrich Forssmann und Günter Jürgensmeier gesetzten Edition. Ein Gigant von einem Buch, dreispaltig, parallel und dynamisch angeordnet: Handlung, Auseinandersetzung mit Poe, Assoziationen, Reflexionen und Gedachtes, Geräusche der Außenwelt. Es gibt eine Handlung mit vier Protagonisten, der man kaum zu folgen vermag vor lauter Poe, Etymtheorie, verkopfter Verschreibkunst und Instanzen, die sich nur für ältere, geniale Männer mit Impotenz erschließen. Da ist schon vieles, das nervt und mich eigentlich nichts anzugehen scheint. Aber was hilft’s, ich bin Arno Schmidt Leserin und da ist dieses schreckliche Buch aus dem Jahre 1970, was offensichtlich geschrieben werden musste (und vielleicht auch furchtbar misslang): »Zettels Traum«. Nun bin ich 60, berufstätig (ganz ohne Bücher) und Lesezeit steht für solch eine Zumutung eigentlich nicht zur Verfügung. Doch dann kam 2020 das Lesebuch zu »Zettel’s Traum« im Suhrkamp Verlag heraus und 2021 bei Aufbau die Lesung mit Ulrich Matthes auf einer MP3-CD . Wenn nicht jetzt, dann eben nie. Oder doch?

Die Andere Bibliothek 2021, Band 442, Die Nacht des Dr. Herzfeld (S. 7 – 230), Schnee (S. 233 – 503) und ein Nachwort von Lothar Müller (S. 507 – 522), ISBN: 978-3-8477-0442-3, gebundene Ausgabe.

Georg Hermann hieß eigentlich Georg Hermann Borchardt und wurde 1871 in Berlin geboren. Georg Hermann war auf vielfältige Art schriftstellerisch tätig, schrieb Essays, nahm zu Problemen der jüdischen Identität Stellung, schrieb Dramen. 1943 wurde der »jüdische Fontane«, wie er wegen seiner Vorliebe für diesen Autor genannt wurde, im KZ Auschwitz ermordet. Für lange Zeit schienen Georg Hermann und seine Romane vergessen. Mit den Romanen »Jettchen Gebert« (1906) und dessen Fortsetzung »Henriette Jacoby« (1908) avancierte er zum Erfolgsschriftsteller. Diese Romane spielten Mitte des 19. Jahrhundert in einer jüdischen großbürgerlichen Familie. Mit »Kubinke« (1910) und dem hier vorgestellten »Die Nacht des Dr. Herzfeld« (1912) wendete sich Herzfeld seiner Gegenwart zu. Hermann zeigt uns das zu seiner Zeit aktuelle Berlin und er zeigt es uns überaus detailreich.

Vandenhoeck & Ruprecht 1966, 2. durchges. Auflage 1981, Bd. 17. Das Odfeld. Der Lar. (S. 221-395), als PDF bei »digi20.digitale-sammlungen.de« zum Download. Preiswerte Buchausgaben sind antiquarisch gut zu erreichen.

Den Lar sollte man nicht auslassen. Zwischen Odfeld und Stopfkuchen, zwei Riesen also im Raabschen Erzählkosmos, tummelt sich »Der Lar, eine Oster-, Pfingst-, Weihnachts- und Neujahrsgeschichte«. Eine Geschichte für jeden Festtag also. Raabe selbst hatte es mal nötig, sich so richtig gehen zu lassen, und so heißt das ironische Motto: »O bitte, schreiben auch Sie doch wieder mal ein Buch, in welchem sie sich kriegen!« Raabe tut das: 1889 kommt die Erzählung erst als Dreiteiler in Westermann Monatsheften, dann als Buch heraus. Es wird ein Erfolg und dann wird die Erzählung irgendwie vergessen. Zu Unrecht, wie man sehen wird. Dass das keine gewöhnliche Schmonzette geworden ist, wird uns schon beim Lesen des Vorworts klar: Paul Warnefried Kohl mit seiner Frau Rosine, geborene Müller, am Taufbecken. Mit von der Partie Kohls Jugendfreund Bogislaus Blech und der Kreisdienstarzt a. D. Schnarrwergk. Das glückliche Ende ist doch jetzt eigentlich schon erzählt? Nicht doch, es geht erst los.