Die Ermittlungen im Falle des Oktoberfestattentats von 1980 – Die Hoffnung stirbt zuletzt

Oktoberfest-Denkmal (Wikipedia)
Das eben begonnene Jahr könnte ein aufregendes für die noch lebenden und die Angehörigen und Freunde aller Opfer des Münchner Oktoberfestattentats von 1980 werden. Und ein aufregendes Jahr für Rechtsanwalt Werner Dietrich, der die Opfer des Anschlags seit Beginn an vertritt, sowie für Ulrich Chaussy, Journalist, Buchautor und ebenfalls seit den frühen 1980ern ein vehementer Kritiker der staatlichen Ermittlungen in diesem Fall. Im November letzten Jahres meldete die Süddeutsche Zeitung, daß die Bundesanwaltschaft erwäge, die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat wieder aufzunehmen, da auf Antrag des Opferanwalts Werner Dietrich eine neue, offensichtlich sehr glaubwürdige und wichtige Zeugin angeführt wurde. Diese Zeugin kenne den Namen eines zweiten Täters. Dieses Jahr nun die Meldung, daß der Generalbundesanwalt Harald Range von den deutschen Geheimdiensten die Herausgabe aller Akten, die in Bezug zum Attentat stünden, gefordert hätte. Auch wenn viele Chancen der Aufklärung des folgenreichsten Terroranschlags auf deutschen Boden längst vertan wurden (man denke nur an die Vernichtungen der Asservate und die heutigen Möglichkeiten der DNA-Analyse), scheint nun alles wieder auf Anfang gestellt. Vierunddreißig Jahre danach …

Rückblende: 26. September 1980 am Haupteingang des Oktoberfestes in München explodiert eine Rohrbombe. Sie tötet 13 Menschen, verletzt insgesamt 211 Menschen, 68 davon schwer. Es ist Wahlkampf in diesem Herbst: Schmidt gegen Strauß, eine erbittert geführte Auseinandersetzung, deren Hauptthema die innere Sicherheit ist. Am Abend des Anschlags gibt der bayerische Ministerpräsident Strauß vor Ort ein Interview. Er greift den damaligen Bundesinnenminister Baum und dessen angebliche Verharmlosung der radikalen Linken vehement an und nennt Baum einen »Skandalminister«. Er weiß noch nicht, daß der mutmaßliche Attentäter ein Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann ist. Die Wehrsportgruppe, die der Ministerpräsident in Personalunion mit seinem Innenminister Tandler bagatellisiert und die just der Bundesinnenminister Baum Anfang 1980 verboten hatte. Für Strauß ein Disaster, für die Koalition ein gefundenes Fressen. Es war Wahlkampf.

Fortan wurde ermittelt. In eine Richtung: Gundolf Köhler, der Einzeltäter. Es gab mehrere glaubhafte Zeugenaussagen, die auf eine Beteiligung mehrere Personen hinwiesen, es gab bereits Ermittlungen andernorts, die Zusammenhänge mit dem Oktoberfestattentat aufzeigten, es gab das furchtbare Attentat im August in Bologna, es gab viele weitere Gründe, sich bei den Ermittlungen nicht allein auf eine Einzeltäterschaft zu konzentrieren. Man tat es aber, und das mit aller Konsequenz. Die Ignoranz gipfelte schließlich in der Vernichtung der Asservate 1997. Mord verjährt nicht. Und dreizehnfacher Mord?

Aber was ist mit den Opfern? Wenn man wie ich über einige Tage die Bücher von Chaussy und Schorlau gelesen, den Film von Daniel Harrich angesehen und noch so einiges im Netz zum Attentat vor 34 Jahren angeklickt hat, bekommt man ein wenig ein Gefühl, wie es den Opfern und ihren Angehörigen und Freunden die ganzen vielen Jahre hindurch wohl ergangen sein muß. Ich war fast zwanzig, als der Anschlag geschah. Ein Jahr später zog ich nach Bayern, wo ich bis heute lebe. Ich kann mich erinnern, daß der polarisierende Wahlkampf zwischen Schmidt und Strauß alles in den Schatten stellte. Ja, selbst die Opfer des Anschlags blieben auf seltsame Art und Weise in diesem Schatten. Das Oktoberfest wurde so wenig unterbrochen, wie die Olympischen Spiele 1972 abgesagt worden waren. Es dauerte Jahre, bis ein angemessenes Gedenken an der Stelle des Attentats am Eingang des Oktoberfests möglich war. Der Staat selbst zeigte echtes Interesse an Deutung, nicht an Aufklärung. So kam der Verdacht der Intrige zum Schmerz hinzu. Schließlich verloren sich die Stimmen unermüdlicher Sucher, Mahner und Erinnerer wie die des Anwalts Werner Dietrich und des Journalisten Ulrich Chaussy in der öffentlichen Debatte als manchmal störendes, aber nicht wirklich wahrgenommenes Hintergrundgeräusch (um so wichtiger, daß sie nie zu rufen aufgehört haben). Was als Schmerz, Wut, Verdrängen, Depression und Traurigkeit blieb den Opfern? Was außer rückhaltloses Bemühen um Aufklärung könnte den Schmerz lindern?

Zwei Bücher und ein Film seien an dieser Stelle empfohlen:

Ulrich Chaussy: Oktoberfest – Das Attentat – Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann
Ch. Links Verlag, Berlin 2014, 272 S., ISBN: 978-3-86153-757-1 (auch als eBook erhältlich)
So etwas wie das Standardwerk zum Thema. Es erschien zuerst 1985 im Luchterhand Verlag. 2014 dann, ergänzt um Hinweise und Zeugenaussagen nach 1984 und mit wenigen stilistischen Änderungen versehen, im Ch. Links Verlag. Wer ohne Umschweife wissen will, wie, wann und wo ermittelt wurde (und wie, wann und wo eben nicht), wer etwas über die Atmosphäre der 1980er, auch in Bezug auf den Rechtsextremismus, wissen will, der liegt hier genau richtig. Chaussy ist an dem Fall dran geblieben, über 34 Jahre lang. Niemand im Land hat mehr recherchiert und ist den deutschen Behörden mehr auf die Nerven gegangen als er (ausgenommen vielleicht Werner Dietrich).
Ein zusätzliches Lob dem Verlag für seine eBook-Ausgabe. Lesefreundlich und exakt formatierter Text (im Blocksatz, was mich glücklich macht und leider auch für Prosa nicht Standard ist) und ein verlinktes(!) Personenregister. Bravo!

Wolfgang Schorlau: Das München-Komplott: Denglers fünfter Fall 
Verlag Kiepenheuer& Witsch, Köln 2009, 336 S., ISBN: 978-3-462-30000-0 (auch als eBook erhältlich)
Dort wo der Journalist Chaussy aufhören muß, macht der Kriminalschriftsteller Schorlau weiter. Deutlich nimmt er die Ergebnisse Chaussys Recherchen auf, um für den Privatermittler Georg Dengler einen idealen Fall zu schaffen. Ein typischer Schorlau-Krimi: Die Figuren sind etwas grob und mehr mit Klischee als mit Psychologie entwickelt. Das stört aber kaum, denn der Fall trägt sie durch eine atemraubende Handlung in ein virtuoses Finale. Die Fakten bleiben derweil ganz nah an der Realität. Unbedingt lesenswert.

Der blinde Fleck 
Deutschland 2013, Regie: Daniel Harrich, Drehbuch: Daniel Harrich und Ulrich Chaussy, Darsteller: Benno Fürmann, Nicolette Krebitz, Heiner Lauterbach, August Zirner, Jörg Hartmann u. a.
Auch der Film basiert auf Chaussys Buch »Oktoberfest – Das Attentat« und begleitet den Journalisten von kurz vor dem Attentat bis über die Jahre seiner Recherchen. Das private Leben Chaussys nimmt hierbei durchaus einen gewissen Raum ein. Künstlerisch gesehen wirkt der Film eher ein wenig altbacken, während die Liste der Darsteller sich sehen lassen kann: Benno Fürmann, Nicolette Krebitz, Heiner Lauterbach, August Zirner, Jörg Hartmann und viele anderen. Natürlich darf das Münchner Tatortduo nicht fehlen, allerdings nicht als Kommissare. Der Film ist halbdokumentarisch konzeptioniert, vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, Namen und Funktionen der realen Figuren während des Films kurz einzublenden? Sehenswert ist er auch so. Das Besondere an dem Film macht die erzählte Geschichte aus. Und die ist wahr, unglaublich, aber wahr. (zum Trailer)

Die Geschichte des Rechtsextremismus fängt nicht mit dem NSU an. Und das Versagen der deutschen Behörden hat bezüglich der Gefahr von rechts eine lange Tradition. V-Männer hin, Stay-behind-Taktiken und Gladio her, es wurde mehr als genug spekuliert … Die Opfer des Anschlags von 1980 und ihre Angehörigen und Freunde zuallererst haben ein Recht auf Aufklärung. Und mit ihnen alle Bürger dieser Republik.

6 Kommentare on "Die Ermittlungen im Falle des Oktoberfestattentats von 1980 – Die Hoffnung stirbt zuletzt"


  1. Danke für diese gelungene Auseinandersetzung und die Buchhinweise. Ich hatte neulich auch den Film gesehen und mir vorgenommen, mich noch weiter zu informieren – ein wichtiges Thema, an dem man gerade auch in Zeiten von Pediga etc., dranbleiben muss!

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    1. Vielen Dank Birgit! Ja, es gibt Bücher, die kann man eben mal verschlingen, und es gibt Lektüren, die Auseinandersetzung einfordern. Auch wenn es ein wenig Arbeit macht. (Aber deswegen sind wir ja auch hier :)). Was mir hier zu Pediga einfällt: Ich war überrascht, als ich in der taz vom Freitag den Titel las: „Danke, Frau Merkel!“. Sie groß im Bild vor oder nach der TV-Ansprache, garniert mit drei Zitaten aus ihrer Rede. Eines: „Es ist selbstverständlich, daß wir Flüchtlingen helfen und Menschen aufnehmen, die bei uns Zuflucht suchen.“ Wir freuen uns, daß sie diese Sätze sagt, und nehmen sie beim Wort.

      Wünsche einen schönen Feiertag!
      lena

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